Richtiges Auffassen einer Sache und Missverstehen der gleichen Sache schliessen einander nicht aus. ( Franz Kafka)
Le Bonheur de Vivre, Henri-Émile-Benoit Matisse, 1905.
Franz Kafka wurde am 3. Juli 1883 in Prag geboren, dort verbrachte er auch den größten Teil seines kurzen Lebens.Der 19 jährige Student Kafka scherzt seinem Schulfreund und Kommilitonen Oskar Pollak gegenüber: "Prag läßt nicht los. Uns beide nicht. Dieses Mütterchen hat Krallen. Da muß man sich fügen, oder: an zwei Seiten müßten wir es anzünden, am Vysehrat und am Hradschin, dann wäre es möglich, daß wir loskommen. Vielleicht überlegst Du es Dir bis zum Karneval."Franz Kafka führte nach Abschluß seines Jurastudiums ein denkbar trostloses Dasein als mittlerer Angestellte und Junggeselle, der noch bei seinen Eltern wohnte. Innerhalb der Familie galt der skrupelhafte, introvertierte Schriftsteller als Außenseiter, besonders der Vater brachte nicht das geringste Verständnis für die Interessen seines Sohnes auf. Kafka arbeitete auch deshalb vorwiegend in den Nachtstunden, weil er dann endlich seine Ruhe hatte, die Eltern und Geschwister lagen im Bette, sie lernten oder plauderten nicht mehr, und er konnte sich in das winters beheitzte Wohnzimmer setzen.Ein Prosatext aus dem Jahre 1912 ("Großer Lärm") beginnt folgendermaßen: "Ich sitze in meinem Zimmer im Hauptquartier des Lärms der ganzen Wohnung."
Tagsüber saß er sechs Stunden in seinem Bureau im vierten Stock der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt, klassifizierte Unfallverletzungen, verfaßte irgendwelche Gutachten über die Sicherheit an Arbeitsplätzen und verfolgte den Sekundenzeiger der Wanduhr. Nachmitags legte er sich für ein paar Stunden ins Bett, ruderte, bestellte einen kleinen Garten oder unternahm ausgedehnte Spaziergänge durch die Parkanlagen und Straßen der Stadt, um spät abends beziehungsweise nachts für seine eigentliche Passion gerüstet zu sein: Franz Kafka verstand sich in einem ausschließlichen Sinne als Schriftsteller, sein äußeres Dasein war zielstrebig auf das Schreiben hin ausgerichtet, nur beim Schreiben konnte er sich auf eine zutiefst befriedigende Weise ausleben, alle sonstigen Interessen ordente er dieser Tätigkeit unter, alles, was ihn am Schreiben hinderte oder auch nur hätte hindern können, empfand er als Bedrohung - und sobald er für kurze Zeit einmal nichts zu Papier gebracht hatte, wurde er depressiv.In einem späteren Brief an Max Brod bekennt er: "Das Schreiben ist ein süßer wunderbarer Lohn, aber wofür? In der Nacht war es mir mit der Deutlichkeit kindlichen Anschauungsunterrichtes klar, daß es der Lohn für Teufelsdienst ist. Dieses Hinabgehen zu den dunklen Mächten,diese Entfesselung von Natur aus gebundener Geister, fragwürdige Umarmungen und was alles noch unten vor sich gehen mag, von dem man oben nichts mehr weiß, wen man im Sonnenlicht Geschichten schreibt. Vielleicht gibt es auch anderes Schreiben, ich kenne nur dieses: in der Nacht, wenn mich die Angst nicht schlafen läßt, kenne ich nur dieses."(03. Juli 1922 ) Auch seine Vorbehalte einer Ehe gegenüber rührten zum Teil aus der Furcht, sich auf das Schreiben nicht mehr konzentrieren zu können. Kafka war ein Literatur-Besessener - allerdings aus persönlicher innerer Not heraus.Franz Kafka zog sich im Laufe der Jahre zunehmend in die Literatur zurück. Man könnte sogar sagen: Aus dem engen bürgerlichen Dasein (als eine Metamorphose des Grauens verzerrt nachgestaltet in seiner berühmtesten Erzählung "Die Verwandlung", 1915) wich er ins Schreiben aus.Im Jahre 1922 gab er wegen seiner sich verschlechternden Gesundheit seine Arbeit als Versicherungsjurist auf. Nach einer kurzen Zeit in Berlin kehrte er im März 1924 nach Prag zurück und erlag dort noch in demselben Jahr einer Kehlkopftuberkulose.
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